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Blog Stolperstein-App
Das Projekt "Stolperstein-App"
Zwischen 2013 und 2014 wurden in Seeheim-Jugenheim insgesamt 40 Stolpersteine als Zeichen der Erinnerung in das Pflaster gesetzt. Die Gemeinde möchte nun noch einen Schritt weiter gehen und eine Stolperstein-App erstellen, um die Erinnerung auch in einer digitalisierten Form zu bewahren. So könnte man sich etwa übers Handy direkt die Lebensgeschichten erzählen lassen, wenn man über einen der Steine im wahrsten Sinne stolpert und mehr wissen will als den bloßen Namen und die Geburts- und Sterbedaten. Schließlich sind die Stolperstein-Geschichten ein wichtiger Teil unserer Ortsgeschichte.
Als ersten Schritt zur App waren Bürgerinnen und Bürger Ende 2021 dazu eingeladen, die Autoren-Patenschaft für einen Audiobeiträg zu übernehmen. In zwei Projektblöcken wurde 2022 und 2023 daran gearbeitet: Die Teilnehmer haben recherchiert, geschrieben, gesprochen, geschnitten, gemischt – alles wurde komplett selbst produziert. Jetzt soll es mit der App und QR-Code-Stolpersteinen weitergehen.
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Mehr zum Entstehen der Audiobeiträge erzählt Der Blog zum Projekt
Die Texte stammen von Maidon Bader, die die Arbeit an den Audiobeiträgen medienpädagogisch begleitet.
November '21: Auftakt
An einem Abend im späten November kommen wir zum ersten Mal zusammen. Es hat trotz Corona-Auflagen geklappt: Knapp 20 Menschen, die sich für die Stolperstein-Patenschaften interessieren, sitzen im Kreis, Menschen verschiedenen Alters, darunter zwei 15-jährige Schüler, was uns besonders freut. Die meisten sind aus der Region, ein Paar ist tatsächlich aus dem Taunus angereist. Seeheimer Pressemeldung goes Hessenschau und wird bei Insta gepostet. So kommen Pia und Viktor hierher. Klaus Knoche, der die Stolpersteinführungen betreut und sich wie kein anderer mit der Thematik hier vor Ort auskennt, und Sabine Milewski, die bei der Gemeinde Seeheim-Jugenheim für die Erinnerungsarbeit zuständig ist, umreißen die Aufgabe. Wir suchen Menschen, die bereit sind, sich in die Stolperstein-Biographien einzuarbeiten, ein Manuskript zu schreiben und all die Fähigkeiten zu lernen, die man braucht, um einen Audiobeitrag zu machen. Drei Workshop-Wochenenden sind geplant, jedoch ist auch Eigenarbeit zwischen den Blocks gefragt. Wer kann sich das vorstellen?
Januar '22: Die Gruppe formiert sich
Zehn Teilnehmer*innen haben sich verbindlich angemeldet, ein paar der Interessierten wollen das Projekt unterstützend begleiten, wichtig für uns, da wir jetzt in die Materie abtauchen und uns das ganz einnehmen wird. Wer will welche Stolperstein-Biographie bearbeiten? Das ist die Frage in unserem Videochat Ende Januar. Schnell stellt sich heraus, dass es zum Teil ganz persönliche Gründe gibt, sich für die eine oder andere Biographie zu entscheiden. Die Großmutter von Susi zum Beispiel hatte ihr von Emilie Rosenfeld erzählt. Das Bild, wie sie mit ihren Haushaltswaren in den Odenwald ging, um sie dort zu verkaufen, sei ihr im Gedächtnis geblieben, sagt Susi. Oder Inge, die das Haus von Milton und Hedwig Mayer in der Darmstädter Straße 9 aus ihrer Kindheit kennt, dessen Geschichte aber nie erfuhr. Auch die anderen haben herausgefunden, welcher Stolperstein sie besonders interessiert, und es ist klar: 8 Biographien aus den 13 Stolpersteingruppen sollen vertont werden.
März '22: Die Stolpersteinführung
Ende März starten die Stolperstein-Pat*innen zusammen mit einer größeren Gruppe zu einer Ortsbegehung. Eigentlich war die Stolpersteinführung zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar geplant, jetzt wird sie nachgeholt. Es ist bereits warm, ein schöner Frühlingstag. Klaus Knoche führt unsere Gruppe vor die Häuser, in denen die jüdischen Mitbürger*innen lebten. Seine Erzählungen machen es deutlich: Diese Menschen waren Nachbarn, engagierte Bürger*innen, Familien, die ihre Kinder auf die örtliche Schule schickten, fest verankert im Seeheim-Jugenheimer Leben. Und die Menschen, die zusahen, als diese ausgegrenzt, zwangsenteignet, zu Auswanderung gezwungen, deportiert wurden, waren Menschen wie du und ich. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen. Unser Weg führt auch am Familiengrab von Pfarrer Reith vorbei, der sich ungeachtet der Gefahren für sich und seine Familie gegen das Regime stellte und Juden zur Flucht verhalf. Erinnerungsarbeit. Ja, wir verstehen, wie wichtig das ist. Wir haben uns entschieden, daran mitzuwirken.
April '22: Berührungspunkt
Das erste Workshop-Wochenende ist im Pfarrer-Reith-Haus der Kirchengemeinde. Ein Dutzend Menschen sitzen im Kreis, erwartungsvoll, darunter Maidon Bader, die das Projekt medienpädagogisch begleitet. Alle haben dabei, was sie an Material zu ihrem Stolperstein finden konnten, ausgedruckt auf Papier. Wir machen eine Ausstellung, präsentieren unsere Funde den anderen. Dabei merken wir: Jeder Stolperstein ist anders, die Quellenlage, das Bildmaterial, die Berichte von Zeitzeugen; mal gibt es viel, mal nur wenig, über das sich sprechen lässt. Wo ansetzen? Wie beginnt so eine Erzählung? Maidon gibt den Teilnehmer*innen einen Anhaltspunkt: „Beginnt da, wo die Biographie euch berührt, wo ihr merkt, dass euch warm wird.“ Tief eintauchen geht jetzt nicht. Die Aufnahmegeräte kommen auf den Tisch, kurze Statements aufnehmen, diese danach zusammen anhören. Wie klingt das? Wir klingt deine Stimme? Können wir dem, was du sagst, folgen? Die ersten Aufnahmen sind überraschend gut. Ermutigt und inspiriert packen wir die Aufnahmegeräte ein, die Zettel mit den Hausaufgaben. Das können wir schaffen!
April-Mai '22: Zwischenschritte
Zeitzeuginnen und -zeugen gibt es nur noch wenige. Die Hoffnung ist groß, dass wir trotzdem noch jemanden finden, der uns etwas über die jüdischen Menschen aus unserem Ort erzählen kann. Ausgerüstet mit dem Aufnahmegerät und dem frisch erworbenen technischen Knowhow machen Christa und Inge sich auf den Weg, um Kurt Bröning aus Jugenheim zu interviewen. Sie erhoffen sich Informationen aus erster Hand zu Moritz Abraham. Über diesen Jugenheimer Juden ist fast gar nichts bekannt. Constanze wiederum geht zum Darmstädter Hof in Seeheim. Elfriede Messerschmidt, die Seniorchefin, kannte Manfred Silber, der den Holocaust überlebte und nach dem Krieg wieder in die Gegend zurückkehrte. Die Originaltöne dieser Interviews werden sie zum zweiten Block mitbringen.
Mai '22: In die Tiefe
Nicht alle können am ersten Workshoptag da sein, und einer unserer Youngsters wird gar nicht mehr kommen. Er schafft das nicht neben der Schule her, es ist einfach zuviel. Ja, es war viel: Der Besuch beim Stolperstein, eine Aufnahme der Umgebung machen, ein Foto inszenieren, die erste Manuskriptfassung schreiben. Ums Zuhören geht es an diesem Samstag, was hören wir auf den mitgebrachten Audios? Beschreibe! Nur wer gut zuhören kann, sagt Maidon, entwickelt ein Ohr dafür, auf was es ankommt. Die Redaktionskonferenz tagt, das sind wir alle. Eine Person nach der anderen präsentiert ihr Manuskript, sucht sich andere, die die Parts sprechen, die nicht Erzählparts sind: Zitate aus Briefen und Dokumenten, Ansagen… Es ist ein langer, anstrengender Prozess, der Aufmerksamkeit und Wachheit fordert. Die kollektive Intelligenz ist gefragt, Ideen werden aus den Köpfen geschüttelt. Am Ende der beiden Workshoptage kommen wir uns vor wie nach einem Tauchgang. Doch jetzt hat jede/r einen roten Faden, weiß was zu tun ist. Bleibt nur, die Endfassung des Manuskripts zu schreiben. Und sich um die vielen organisatorischen Dinge zu kümmern wie Musik und Geräusche, Sprecherinnen und Sprecher. Ein bisschen Schneiden- Üben wäre auch nicht schlecht. Die viel zu knappe Erklärzeit während des Workshops, ob das beim nächsten Produktionswochenende so hinhaut?
Mai-Juni '22: Es reicht nicht!
Das Gefühl sagt: Da muss es noch mehr geben, es ist noch nicht alles an Recherchemöglichkeiten ausgeschöpft. Zwei Teilnehmerinnen fahren nach Darmstadt und Wiesbaden in die Archive, verbringen Stunden mit der Akteneinsicht, finden Erstaunliches heraus. Ein Dokument: Wie akribisch Milton und Hedwig Mayer vor ihrer Auswanderung ihr Hab und Gut auflisten mussten! Unterlagen zu einem Prozess: Was Manfred Silber dazu bewegte, in seine Heimat zurückzukehren. Die Fragen der Teilnehmer*innen, ihre Hartnäckigkeit haben sich gelohnt.
Juni '22: Produktion
Die Räume der Jugendförderung in Seeheim sind verwandelt: In drei Zimmern sind Aufnahmeboxen entstanden, sehr rudimentär aus Decken und Stellwänden. Später wird Maidon sagen, der Sound in einem normalen Wohnzimmer sei besser. Doch in diesen Räumen braucht es die Staffage. Es braucht auch den Rückzug, die Konzentration, die in einer solchen Box herrscht, um die langen Erzähltexte zu sprechen. Eine zweite Person sitzt draußen, führt Regie, indem sie aufmerksam zuhört und Rückmeldung gibt. Zeit zum Verschnaufen gibt es nicht an diesem Wochenende. Kaum sind die Wortaufnahmen gemacht, geht es ans Schneiden: Versprecher raus, Takes sauber schneiden, ablegen. Dann in der Montage alles hintereinander hängen, wie funktioniert das mit den verschiedenen Spuren, und wie kriege ich da noch Musik oder Geräusche hinein? Maidon rennt hin und her, aber auch untereinander helfen sich die Teilnehmer*innen, es ist ein Wettrennen mit der Zeit. Am zweiten Tag gibt es ein Dropout wegen Corona-positiv, die Teinehmerin schneidet und montiert allein zu Hause und schickt ihren Beitrag noch rechtzeitig zum internen Abhören. Zwar sind wir nicht pünktlich aber wie durch ein Wunder doch noch alle fertig geworden. Wir hören uns alle Beiträge hintereinander an und sind beeindruckt. Es ist eine Wucht, die Arbeit an diesen Audios und die Audios selbst. Wie können wir jetzt einfach so nach Hause gehen?
September '22: Präsentation
Mitte September präsentieren wir die Stolperstein-Patenschaften zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Entstanden sind 7 Miniaturen von 5 bis 9 Minuten Laufzeit. Der Bürgermeister ist eingeladen, die Presse und ein paar Freunde und Verwandte. Viel Platz ist nicht in der Werkstatt Sonne, aber das eigentliche Publikum wird ja draußen sein, auf der Straße, stolpernd über die Stolpersteine. Beim Aufbau gibts noch Aufregung: Die avisierte Anlage spielt die Audios nicht richtig ab, zu viel Rauschen, Knacken und Brummen. Haben wir so schlecht gearbeitet? Nein, der Sound auf den Studioboxen, Leihgabe aus dem Nachbarort, ist einwandfrei. Wichtiger aber noch ist die Aufmerksamkeit, mit der unsere Zuhörer*innen einen Beitrag nach dem anderen anhören. Es ist schwere Kost, das ist schon klar. Normalerweise würde man, von der App geleitet oder zufällig einen QR-Code scannend, im Ort unterwegs sein, an der frischen Luft, begleitet von den Geräuschen der Straße, dem Geschehen um einen herum. Gehen, stehen, hören. Das alles ist hier nicht. Hier gibt es nur die Geschichten selbst, bar aller Ablenkung. Aus ihnen setzt sich ein Bild zusammen, die individuelle Geschichte vermischt sich mit dem Zeitgeschehen, mit dem kollektiven Erleben.
'23: Zweite Runde
Klar ist: Das Projekt der „Autoren-Patenschaften“ ist noch nicht beendet. Es fehlen noch sechs Stolpersteingruppen, die teils in Seeheim und teils in Jugenheim liegen. Zum Beispiel der Stolperstein des gebürtigen Seeheimers Dr. Arthur Mayer, der nicht nur ein beliebter Arzt, sondern auch Sozialdemokrat und Theaterfreund war. Bevor ihn die Repressalien des NS-Regimes zur Auswanderung zwangen, lebte er mit seiner französischen Frau Marguerite in der Albert-Schweitzer-Straße. Oder die Familie Koppel aus Jugenheim, deren „Pension Sandmühle“ noch zu NS-Zeiten ein wichtiger Anlaufpunkt im jüdischen gesellschaftlichen Leben war. Die Biographien, die es hier zu nachzuempfinden gilt, sind haarsträubend, berührend, erhellend.
Januar '23: Die neue Gruppe
Sprung in die Seeheimer KulturMetzgerei: Hier kommt am 11. Januar eine Gruppe von acht Leuten zusammen. Die Mehrzahl war schon 2022 dabei und will weitermachen, allein oder zu zweit ein weiteres Stolperstein-Audio herstellen. Ein Teilnehmer ist neu und doch sehr vertraut mit der Thematik; er hat an der deutschen Fassung eines Audioguides für die Gedenkstätte Treblinka mitgewirkt und bei einem unserer ersten Beiträge als Sprecher mitgemacht. Schnell fängt die Gruppe Feuer, es entbrennt eine Diskussion über die Vorgehensweise. Wie wollen wir uns zukünftig über den Stoff verständigen? Wie wollen wir zusammen arbeiten? Nach dem ersten emotionalen Austausch kommen wir schnell zu einem Ergebnis: An vier Terminen werden wir als redaktionelles Gremium zusammenkommen, Gelerntes auffrischen, neue Manuskripte entwerfen und umsetzen. Maidon wird den Prozess als Coach begleiten. Sie und Sabine finden: Die Gruppe ist empathisch, sensibel, kompetent. Die besten Voraussetzungen dafür, dass im Juli weitere informative und berührende Stolpersteinaudios „on air“ gehen.
Februar '23: „Und… bitte!“
Das ist der klassische Spruch, mit dem man einem Gegenüber sagt, dass die Aufnahme läuft. Dass er oder sie jetzt den Mund aufmachen und etwas äußern soll. Eine anspruchsvolle Situation. Genau die steht uns heute bevor. Denn: Wir müssen den Umgang mit dem Aufnahmegerät auffrischen, rein technisch. Zweitens wollen wir die Dinge, die wir über unsere Stolperstein-Biografie herausgefunden haben, den anderen mitteilen und Feedback bekommen. Und drittens üben wir die Kunst des Zuhörens. Genau hinhören, was die anderen erzählen, es konstruktiv kommentieren. Also machen wir heute eine Probeaufnahme. Drei Paare werden mit ihren Aufnahmegeräten in verschiedene Räume geschickt. Sie befragen einander: „Über wen machst du deinen Beitrag?“ – „Wo ist dein Berührungspunkt mit dieser Biografie?“ – „Was für Ideen hast du, um deinen Beitrag zu bauen?“ Eine Person erzählt, die andere hört aufmerksam zu, fragt nach. Nachher sitzen wir vor den Boxen und lauschen den Aufnahmen. Die Stimmung ist konzentriert, versammelt. Was für eine erstaunliche Frau war diese Ada Brodnitz, über die Inge erzählt! Eine alleinerziehende Frau mit eigener Sprachschule in Jugenheim, an die ihre englische Enkeltochter noch heute die besten Erinnerungen hat. Beim Zuhören öffnet sich ein Fenster in eine andere Welt, nicht nur bei dieser, sondern auch bei den anderen Erzählungen. Die kleinen Spratzler und Fehler auf der Aufnahme, die Interview-Partner*innen, die so verschieden agieren und nachfragen, die kleinen Dialoge, die sich dabei ergeben, all das bringt uns das Medium wieder nah, macht es lebendig und macht Lust auf mehr!
April '23: Gibberish
Es ist der Abend der ersten Manuskriptfassungen. Fünf Entwürfe auf Papier. Eine Menge Arbeit steckt darin. Doch Papier klingt nicht. Bisschen Klang muss her, bevor es richtig losgeht, wie wär's mit einer Runde "Gibberish"? Bitte, was?! Ganz einfach: Was wir sagen wollen, verpacken wir in nie gehörte Wörter, wir erfinden eine Sprache. Nur unser Ausdruck, unsere Gestik und Mimik verraten den Sinn. Das ist sehr lustig und unbedingt empfehlenswert, wenn die Luft mal dick wird. Bei den Stolpersteinen brauchen wir solche Übungen, um uns locker zu machen, mindestens eine pro Abend, und dann starten wir, zücken die Aufnahmegeräte und los geht‘s. Manuskript für Manuskript sprechen wir mit verteilten Rollen ein: Ah, so klingt es, wenn Martin von Heinrich Koppel erzählt, wenn Birgit ein Zitat aus der Ada Brodnitz-Biografie mit englischem Akzent spricht, sofort bekommt das Erzählte Charakter. Dazwischen die gesprochenen Regieanweisungen: „Sendersuche im Radio“, „Autotür schlägt“. Ein erster Höreindruck kommt dabei heraus, eine Audioskizze zum Nachhören. Und die Einsicht: Das Medium, mit dem wir arbeiten, ist kein Hindernis, es ist ein Gewinn.
Juni '23: Konzentration
Die fertigen Manuskripte brauchen noch einen letzten Arbeitsschritt, bevor es in die Produktion geht - die Endredaktion. Und das redaktionelle Gremium sind wir, alle zusammen. Fünf Manuskripte auf inhaltliche und formale Fehler zu prüfen, letzte Gestaltungs- und Formulierungsideen einzubringen, hier und da noch zu kürzen, all das stellt einen hohen Anspruch an uns und unsere Konzentrationskraft: Sally Mayer, Ada Brodnitz, Julius Sachse, Cäcilie Silber, Heinrich Koppel. 10 Minuten pro Manuskript, ist die Ansage. Wir schieben die Manuskripte mit den Anmerkungen eins weiter, dann beschäftigt sich die nächste Person damit. Die Köpfe rauchen, spätestens nach dem dritten Manuskript stöhnen alle. Aber es hilft nichts, diese Arbeit muss erledigt werden. Gut ist: Was dem einem oder der einen Redakteur*in entgeht, merkt jemand anderes. Stifte schaben auf Papier. Schließlich haben die Manuskripte einmal die Runde gemacht, sind mit Anmerkungen versehen zu den Autor*innen zurückgekehrt. In der Produktion werden alle nochmals neue Rollen annehmen, sich in Sprecher*innen, Regisseur*innen, Cutter*innen verwandeln. Obwohl die meisten diese Arbeitsschritte bereits einmal gemacht haben, merkt man, wie die Spannung steigt. Doch wer schonmal kreativ gearbeitet hat weiß: Ein bisschen Lampenfieber kann nicht schaden!
Juli '23: Zusammenspiel
Alle Aufnahmen sind gemacht, entweder vorab oder jetzt gerade, vor Ort in den improvisierten Studios der KulturMetzgerei. Paar Matratzen, paar Schaustoffteile, das genügt, um die Raum-Akustik zu dämpfen, so dass nichts ablenkt von den Erzählstimmen. „Ich brauche noch Stimmengewirr"“, sagt Inge. In Ada Brodnitz Sprachschule waren junge Frauen, die Englisch und Deutsch sprachen. Wir versammeln uns um den Gartentisch, es ist nicht schwer, das zu simulieren. Martin nimmt unsere „Atmo“ auf. Den ganzen Tag über sind wir beschäftigt. Klaus, der schon zwei Stolperstein-Beiträge im Kasten hat, hilft beim Schnitt und bei der Mischung. Susi und Birgit haben sich zurückgezogen und basteln die verschiedenen Elemente ihres Audios zusammen: Musik, Dialog, den Erzähltext mit Erzählerin und Sprecherin. Über Sally Mayer war nicht viel in Erfahrung zu bringen, hier brauchte es eine andere Erzählform. Constanze wiederum hat so viel über Cäcilie Silber herausgefunden, dass sie nun damit beschäftigt ist, all dies zu bündeln, die Vielfalt ihrer erzählerischen Mittel in eine konzentrierte Form zu bringen. Inge ist in die Rolle der Regisseurin geschlüpft, Maidon hat die Technik übernommen. Alle arbeiten Hand in Hand, im Wettlauf mit der Zeit, Pannen verkraftend, und schließlich sind am Abend alle Audios fertig. Gemeinsam mit Sabine hören wir ein Audio nach dem anderen an. Mit jeder Lebensgeschichte zieht es uns tiefer in eine Zeit vor unserer Zeit, als es noch jüdische Mitbürger*innen in Seeheim und Jugenheim gab. Auf einmal ist die Geschichte zum Greifen nah. Und sie ist ergreifend. Das haben wir geschafft.